Ist Graveln die liberalste Form des Radfahrens?
Wir haben eine Vermutung. Und uns mit leidenschaftlichen Bikern aus zwei Lagern unterhalten: Mountainbiker und Rennradfahrer. Über Gravel-Biken!
Am Tisch sitzen Robin, aus dem Social Media-Team. Und Marketing-Mann Jan. Beide sind leidenschaftliche Radfahrer. Der eine, Robin, Rennradfahrer. Der andere, Jan, Mountainbiker. Beide fahren viel und gerne Rad. Allerdings nur selten gemeinsam. Dabei gehören beide zur Schnittmenge derer, die von Rennrad oder Mountainbike kommend, das Gravel-Rad für sich entdeckt haben. Ein Gesprächsmitschnitt…
Beschreibt euch einmal als Radsportler bitte:
Robin: Ich bin der ganz klassische Rennradfahrer und vereine alle Stereotypen eines Rennrad-Enthusiasten. Spule pro Jahr fünfstellig Kilometer ab, rasiere mir die Beine. Ich liebe Berge, Klassiker und Kopfsteinpflaster. Für mich ist Paris-Roubaix heiliger als Weihnachten.
Jan: Ich komme genau aus der anderen Ecke und bin schon immer Mountainbiker. Mir geht es nicht um Wattzahlen, sondern darum, Spaß am Radfahren zu haben. Seit dem Aufkommen von Strava gilt die Aufmerksamkeit manches Mal der Performance. Aber auch in Sekunden ausgedrückt: Es zählt für mich nur die Abfahrt – und da kann eine schnelle Zeit auch ein Indikator für viel Spaß sein.
Wie steht ihr zum anderen „Extrem“ des Radsports, also Rennrad respektive Mountainbike?
Jan (muss direkt lachen): Ich dulde das! Nein, Spaß beiseite, ich finde es interessant, was da für Leistungen erbracht werden. Wenn die Kollegen hier erzählen, dass sie Touren über 100 Kilometer gemacht haben oder „mal eben“ nach Holland ans Meer fahren. Das sind für mich beeindruckende Zahlen (jetzt lacht Robin). Persönlich finde ich es aber zu gefährlich auf der Straße im Autoverkehr.
Robin: Tatsächlich habe ich meine ersten Radsporterfahrungen auf dem Mountainbike gemacht. Auf Sonntags-Radtouren mit meinem Vater. Da war ich wahrscheinlich zehn Jahre alt oder so. Aber mit der Zeit ist das Mountainbike so ein Schlechtwetter-Ding für vier Monate im Jahr geworden.
Schon mal ernsthaft mit der jeweils „anderen Seite“ auseinandergesetzt und länger auf einem entsprechenden Rad gefahren?
Jan: Die längste Rennrad-Tour, die ich gemacht habe, waren 50 Kilometer. Aber das hat mir tatsächlich nicht getaugt, weil ich es im Verkehr als sehr stressig empfunden habe. Es ist außerdem nach meinem Geschmack zu langweilig, weil wenig passiert.
Robin: Im Winter trainiere ich auf dem Mountainbike und nenne das Ganze auch wirklich Training. Weil wenn es draußen kalt und fies ist, dann möchte ich die Einheiten kurz halten, die begrenzte Zeit aber intensiv nutzen. Dann fahre ich meine CrossCountry-Runde.
Was haltet ihr von Gravel-Bikes?
Jan: Ich finde Gravel-Bikes eine super Alternative zu Mountainbikes, um Strecke zu machen und zu Rennrädern, um nicht auf die Straße angewiesen zu sein. Sprich, man kann damit durchaus 50-60 Kilometer fahren, aber hat vielleicht nur fünf Kilometer Straße. Das macht einen unabhängiger.
Robin: Das Gravel-Bike schließt für mich die Lücke zwischen dem Sommersport Rennradfahren und dem Wintertraining auf dem Mountainbike und bringt mehr Abwechslung. Ich lasse die Wattzahlen Wattzahlen sein und habe ganz rudimentär Spaß auf dem Rad, ohne an Training zu denken.
Robins Welt: Asphalt, schmale Reifen, Wattzahlen. Und ab und an mal was Grobstolligeres...
Wenn Ihr aufs Gravel-Bike steigt, wie sieht die Runde aus? Fahrt Ihr alleine? Mit Begleitung?
Jan: Meistens fahre ich meine persönliche, kurze Gravel-Runde nach Feierabend oder am Wochenend alleine. Aber ab und an rolle ich auch mit den Kollegen hier von bc. Da kommen die unterschiedlichsten Fahrradtypen, menschlich wie materiell, zusammen.
Robin: Ich nutze das Gravel-Bike im Alltag häufig, um nach Feierabend und vor Einbruch der Dunkelheit noch eine Tour zu fahren. Das mache ich bewusst zum Abschalten und bin gerne alleine unterwegs. An den Wochenenden schätze ich aber die ausgedehnten Touren, mit drei, vier Freunden. Da sind dann auch mal Leute mit einem 29er-MTB dabei. Die Mischung der unterschiedlichen Rad- und Fahrertypen gefällt mir.
Gravel-Bikes wurden in den USA ursprünglich als Adventure Bikes beworben. Findet sich dieser vermeintliche Abenteuercharakter für Euch beim Graveln wieder in Euren Touren?
Robin: Für mich ganz klar ja. Es bietet mir die Chance in 90 Minuten ab Haustür vollkommen neue Wege zu befahren, die ich in zehn Jahren Radsport noch nie gefahren bin. Man nimmt Abzweige, die man sonst noch nie genommen hat auf der Hausrunde. Es ist jedes Mal ein kleines Abenteuer und eine kleine Entdeckungsreise.
Jan: Ich bin ja nicht immer der gleichen Meinung wie so mancher Rennradfahrer, aber das sehe ich tatsächlich ganz genauso.
Jan hält sich lieber abseits befestigter Wege auf. Zum Beispiel am Reschensee. (Auch wenn hier nur sein Rad zu sehen ist.)
Jan, bietet es Dir den gleichen Spaß beim Fahren, wie das Durch-den-Wald-hämmern auf einem Enduro?
Jan: Ich finde das vom Spaßlevel sehr ähnlich. Es ist aber ein völlig anderes Fahren: Einen Trail runterzuballern ist etwas ganz anderes als mit 30 Kilometern in der Stunde über eine Forstpiste zu fliegen. Für einen Rennradfahrer sind 30 Sachen noch nicht fliegen, aber für einen Mountainbiker in der Ebene ist das schnell.
Robin: Für mich ist es einerseits eine Art Entschleunigung. Weil man als Rennradfahrer das Fahren mit hohen Geschwindigkeiten, hoher Trittfrequenz gewohnt ist, finde ich das Radfahren im Wald tatsächlich entschleunigend. Andererseits kann ich mir auch wirklich das Adrenalin in die Venen pumpen, wenn ich mit dem Gravel-Rad in die Trails einbiege, die ich vom Cross-Country fahren her kenne.
Ist Graveln die demokratischste Form des Radfahrens?
Robin: Die liberalste Form würde ich sagen. Und auch eine sehr demokratische. Man findet einen Konsens unter ganz verschiedenen Radsportlern.
Jan: Graveln kennt fast keine Grenzen! Es spricht Radfahrer unterschiedlichster Couleur an. Insofern: ja!
Das perfekte Gravel-Bike für Rennradfahrer? Nach Ansicht von Robin das 3T Exploro.
Carbon am MTB, Titan am Gravel-Rad: Jan fährt ein ziemlich edles und durchaus seltenes Rad.
Wie sieht Euer Traum-Gravel-Bike aus?
Jan: Es ist im Grunde das, was ich habe: Ich fahre aktuell einen Titan-Rahmen mit 27,5 Zoll-Bereifung. Carbon-Gabel, Carbon-Sattelstütze, dadurch sehr komfortabel. Aber trotzdem geht das sehr gut nach vorne. Mehr Reifenfreiheit im Rahmen wäre vielleicht noch gut, um noch breitere Reifen zu fahren.
Robin: Ich selbst fahre ein 3T Exploro. Gerard Vroomen hat über dieses Rad gesagt, es ist ein Rennrad, das Mountainbiken kann. Das kommt mir entgegen. Ich möchte ein Rad, das von der Rahmengeometrie sehr nahe an einem Rennrad ist, aber dennoch viel Reifenfreiheit bietet. Für die Abenteuer auf den Trails. Und wir Rennradfahrer müssen eben lernen, dass breite Reifen nicht langsam sind.