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Ergonomie 1x1 – Was Du an Deinem Fahrrad einstellen kannst

Radfahren muss nicht weh tun! Es gibt zahlreiche Stellschrauben, die Du nutzen kannst, um Dein Rad an Deine Bedürfnisse anzupassen. Wir zeigen sie Dir.

Frage drei Radfahrer:innen nach der perfekten Sitzposition und Du erhältst fünf Meinungen. Ergonomie ist kein einfaches Thema. Der Begriff selbst beschreibt die Optimierung eines technischen Gegenstands (hier: Fahrrad) für die menschliche Nutzung. Das Thema allerdings ist etwas komplexer: 

  • Der technische Gegenstand „Fahrrad“ ist höchst unterschiedlich.
  • Die Anwendungsbereiche eines Fahrrads unterscheiden sich extrem zwischen den Disziplinen.
  • Menschen sind noch unterschiedlicher als Fahrräder oder ihre Anwendungsbereiche.

Den einen, allgemeingültigen „Ergonomieratgeber Fahrrad“ kann es also nicht geben. Wir erklären Dir die wichtigsten Parameter, geben Dir Tipps und weisen auf "No-Gos" hin. Alle genannten Punkte sind Richtwerte, die Dir helfen, einen guten Ausgangspunkt zu finden. Von dort an musst Du dann selbst herausfinden, was im Detail gut für Dich ist – oder diese Aufgabe einem professionellen Bikefitter überlassen. Wer es selbst ausprobieren möchte, dem hilft auch die Ergon Fitting Box weiter.

Je nach Einsatzbereich unterscheidet sich die Sitzposition, die Du auf Deinem Bike einnimmst, deutlich: Auf dem Rennrad sitzt Du meist sehr weit vorgestreckt für eine optimale Kraftübertragung und Aerodynamik.

Je nach Einsatzbereich unterscheidet sich die Sitzposition, die Du auf Deinem Bike einnimmst, deutlich: Auf dem Rennrad sitzt Du meist sehr weit vorgestreckt für eine optimale Kraftübertragung und Aerodynamik.

Auf dem Mountainbike sitzt Du bergab nicht - trotzdem ist die optimale Einstellung des Dreieckes aus Lenker – Sattel – Pedalen von großer Bedeutung.

Auf dem Mountainbike sitzt Du bergab nicht - trotzdem ist die optimale Einstellung des Dreieckes aus Lenker – Sattel – Pedalen von großer Bedeutung.

Auf dem Trekkingrad oder Commuter ist die Sitzposition deutlich aufrechter und entspannter als auf den Performance-orientierten Bikes.

Auf dem Trekkingrad oder Commuter ist die Sitzposition deutlich aufrechter und entspannter als auf den Performance-orientierten Bikes.

Die Sitzposition auf dem Gravelbike ist moderater als auf dem Rennrad.

Die Sitzposition auf dem Gravelbike ist moderater als auf dem Rennrad.

Hände, Füße, Po – die Kontaktpunkte

Die Sitzposition eines Radfahrers zu bestimmen, ist ganz einfach, oder? Nicht ganz! Klassischerweise gehen Ergonomie-Ratgeber beim Bikefitting davon aus, die Sitzposition des Radlers in Sachen Komfort, Kraftübertragung und Ermüdungsfreiheit zu optimieren. Es gibt jedoch Einsatzbereiche, in denen die sitzende Fahrposition weniger relevant ist: beim Downhill und Enduro, BMX, Dirtjump, Slopestyle oder Bahnsprint. Wir gehen in unseren Ergonomie-Ratgebern aber vorrangig auf die perfekte Position im Sitzen ein.

Bevor Du anfängst: Regelkreisprinzip und Notizen

Die fünf Kontaktpunkte kannst Du mit unglaublich vielen Parametern beeinflussen: Durch die Rahmenwahl, die Sitzhöhe, Sattelstützen-Kröpfung, Vorbaumaße, die Lenkerform, das Pedalsystem – und deren Feineinstellungen. Wenn Du von einer guten Basis aus Deine optimale Sitzposition suchst, verändere immer nur einen Parameter und teste anschließend, wie sich die Veränderung auswirkt. Ansonsten bist Du nicht in der Lage, eindeutig zu bestimmen, ob ein auftretender Knieschmerz nun von einer veränderten Sitzhöhe oder einem nach hinten verschobenen Sattel herrührt. Wenn Du mit einer Einstellung zufrieden bist, notiere sie, damit Du später darauf zurückkommen kannst. Wenn Du jeden der folgenden Parameter so eingestellt hast, dass es ein bisschen "besser" wird, kannst Du am „Ende“ des Kreises wieder von vorn anfangen und Dich auf diese Art zwar langsam, aber sehr präzise an Dein persönliches Optimum herantasten. Eine Ausnahme kann die bereits erwähnte Fitting Box sein - vor w allem, wenn Du von Grund auf anfängst oder mit Deinem bisherigen Setup komplett unzufrieden bist. Vielleicht krempeln die Empfehlungen von Ergon Deine Sitzposition radikal um – lass Dich ruhig darauf ein! Einen Erfahrungsbericht von uns zu Ergons Bike Fitting Box kannst Du hier nachlesen.

Die Kontaktpunkte an Deinem Fahrrad kannst Du beeinflussen. Nicht unterschätzen: Manchmal reicht auch schon ein paar Millimeter aus, um etwa Knieschmerzen verschwinden zu lassen.

Die Kontaktpunkte an Deinem Fahrrad kannst Du beeinflussen. Nicht unterschätzen: Manchmal reicht auch schon ein paar Millimeter aus, um etwa Knieschmerzen verschwinden zu lassen. © bc GmbH & Co. KG

Schritt 1: Die richtige Sattelhöhe finden

Bei der ergonomischen Einstellung des Bikes ist der erste Schritt die Sitzhöhe. Wer zu hoch oder zu tief sitzt, bezahlt den Preis in Form schlechterer Kraftübertragung und höherer Belastungen des Bewegungsapparates. Wenn Dein Becken beim Pedalieren abkippt oder Du auf den Zehenspitzen auf dem Pedal stehst, ist Dein Sattel ganz klar zu hoch. Bleibt das Knie während der gesamten Kurbelumdrehung stark angewinkelt, ist der Sattel zu niedrig. Wenn Du Deine Sitzhöhe erstmals einstellst, ist der „Fersentrick“ eine gute Richtlinie: Wenn Du im Sattel sitzend die Hinterkante des Schuhs an die Hinterkante des Pedals stellst, sollte Dein Knie so gut wie durchgestreckt sein, wenn die Kurbel dabei senkrecht nach unten steht. Um die Sitzhöhe zu verändern, hast Du vor allem einen Parameter: den Sattelstützen-Auszug. Bedenke aber auch, dass unterschiedliche Sättel unterschiedlich hoch bauen und Du evtl. beim Tausch des Sattels auch die Sattelhöhe neu justieren solltest. Das Schöne an der Sitzhöhe: Sie ist mehr oder weniger übertragbar. Wenn Du bereits eine gute Sitzposition gefunden hast, messe einfach den Abstand von Mitte Kurbelwelle über die Mitte der Sattelklemmung zur Sitzfläche. So kompensiert Dein Wert auch stark abweichende Sitzwinkel, etwa zwischen MTB und Rennrad. Achtung: Unterschiedliche Pedale und Schuhe unterscheiden sich in der Bauhöhe voneinander. So sind Klickpedalschuhe meist höher als ihre Flat-Geschwister. Ergonomische Einlegesohlen können diesen Effekt verstärken. Benutze also bei der Ermittlung der richtigen Sitzhöhe für Dich an Deinem Bike unbedingt die Pedale und Schuhe, die Du später auch benutzen möchtest.

Der „Fersentrick“ ist eine gute Richtlinie für die richtige Sattelhöhe.

Der „Fersentrick“ ist eine gute Richtlinie für die richtige Sattelhöhe. © bc GmbH & Co. KG

Schritt 2: Die Sattelneigung einstellen

Bei der Sattelneigung empfiehlt es sich, als Ausgangspunkt die Sitzfläche des Sattels parallel zum Boden auszurichten. Von hier aus kannst Du optimieren – aber vorsichtig, denn schon ein wenig Neigung kann am Sattel sehr viel ausmachen. Neigst Du die Sattelnase nach unten, entlastest Du Gesäß und untere Extremitäten und hast mehr Druck auf dem Lenker. Mountainbiker, die steil bergauf fahren oder Roadies, die aerodynamisch tief und gestreckt sitzen, bevorzugen diese Einstellung. Zeigt die Sattelnase nach oben, ist das meist ungünstig: Die punktuelle Druckverteilung im Sitzen ist einfach zu unbequem, Du hast viel Druck auf dem Dammbereich und rutschst bergauf nach hinten. Es gibt aber zwei Ausnahmen: Zunächst Sättel wie etwa von Brooks, deren Sitzflächen nicht gerade, sondern leicht bananenförmig sind. Zweitens: Mountainbike-Disziplinen, in denen ohnehin nicht gesessen, das Rad aber an der Sattelnase mit den Oberschenkeln geführt wird (Downhill). 

Schritt 3: Die richtige Griffposition

Von der Sitzhöhe aus legst Du Deine horizontale Sitzposition zwischen „aufrecht“ und „gestreckt“ fest, also den Abstand zwischen Lenker und Sattel. Wie gestreckt Du sitzen willst, kannst nur Du sagen. Wettkampf-Rennradfahrer bevorzugen meist eine gestreckte Sitzposition wegen der besseren Aerodynamik und Kraftübertragung. Je länger die Distanzen oder je wichtiger Komfort und Radbeherrschung, desto aufrechter wird die Sitzposition. Dazu gibt es zwei recht einfache Zusammenhänge:

  1. Je weiter entfernt vom Sattel Deine Greifposition, desto gestreckter ist Deine sitzende Haltung auf dem Rad.
  2. Je tiefer Deine Greifebene im Vergleich zur Sattelebene, desto gestreckter sitzt Du. Man spricht auch von Sattelüberhöhung. Das kannst Du nicht nur durch den Sattelstützenauszug beeinflussen (s. Schritt 1: Sitzhöhe), sondern auch durch Anpassungen an Sattel oder Lenker.

Zuallererst gibt der Rahmen die Sitzposition vor. Achte deshalb beim Kauf nicht nur auf die Rahmenhöhe, sondern auch auf seine Länge. Die wichtigen Werte dafür sind "effektive Oberrohrlänge" (bestimmt die sitzende Position) und "Reach" (bestimmt die stehende Position). Um den horizontalen oder vertikalen Abstand zwischen Lenker und Sattel zu verändern, hast Du mehrere Möglichkeiten:

A) Den horizontalen Abstand zwischen Sattel und Griffen kannst Du beeinflussen durch:

  • die Vorbaulänge (länger = gestreckter)
  • die Sattelstütze, bei der Du wählen kannst, ob sie horizontalem Versatz (Setback) hat. Je mehr Setback, desto gestreckter die Sitzposition.
  • die horizontale Position des Sattels innerhalb des Klemmbereichs der Sattelstütze (Sattel weiter hinten = gestreckter)
  • die Lenkerform: beim MTB ist der Backsweep, beim Rennrad oder Gravelbike der Reach der entscheidende Wert (weniger Backsweep bzw. mehr Reach = gestreckter)


B) Den vertikalen Abstand zwischen Sattel und Griffen kannst Du beeinflussen durch:

  • die Vorbauposition, -steigung und Gabelschaft-Spacer (niedriger bzw. weniger = gestreckter)
  • die Lenkerform: Rise beim MTB bzw. Drop beim Rennrad oder Gravelbike  (weniger Rise bzw. mehr Drop = gestreckter)

Tipp: Auch Deine Lenker- bzw. Griffposition kannst Du messen. Ausgangspunkt ist hier am besten wieder die Distanz zur Mitte der Kurbelwelle. 

Über die Länge und die Steigung Deines Vorbaus kannst Du Deine Sitzposition stark verändern.

Über die Länge und die Steigung Deines Vorbaus kannst Du Deine Sitzposition stark verändern. © bc GmbH & Co. KG

Schritt 4: Die korrekte Fußposition finden

Dieser Schritt ist vor allem für Klickpedalfahrer von großer Bedeutung, da die Position auf dem Pedal fixiert ist und daher exakt stimmen muss. Egal, ob Klick- oder Flatpedal - der Fuß sollte mit dem Ballen auf dem Pedal stehen, nicht auf Zehen oder Fußgewölbe. Beides führt zu starkem Abknicken bzw. Durchbiegen des Fußes und damit zu Ermüdung, Fehlhaltung und Schmerz. Stehst Du nicht auf dem Ballen, spricht das für eine falsche Sitzhöhe (s. o.). Klickpedalschuhe erlauben grundsätzlich keine vollkommen falsche Position der Schuhplatte und damit der Fußposition in Längsrichtung, wohl aber eine Einstellung gemäß persönlichen Präferenzen. So stehen Rennradfahrer wegen der besseren Kraftübertragung und größeren Zehenfreiheit meist etwas weiter vorne auf dem Fußballen, während fahrtechnisch ambitionierte Mountainbiker für mehr Kontrolle und Radbeherrschung in der stehenden Position das Pedal mittiger unter dem Fußballen bevorzugen. Die meisten Cleats erlauben zudem eine Winkelverstellung. Dabei hilft das Ergon TP1 Cleat Tool enorm weiter. Grundsätzlich gilt zunächst: Füße parallel zum Rad und nicht angewinkelt. Übrigens: Der reelle Sitzwinkel beeinflusst die Fußposition auf dem Pedal bei gleicher Sitzhöhe maßgeblich mit. Besonders flache oder steile Sitzwinkel erfordern hier ggf. eine Kompensation bei Fußposition oder Sitzhöhe. Tipp: Mehr zum Thema Fußposition findest Du in unserem Text zur Pedalergonomie.

Ausgangsposition für Deinen Fuß: Er sollte mit dem Ballen auf dem Pedal stehen.

Ausgangsposition für Deinen Fuß: Er sollte mit dem Ballen auf dem Pedal stehen. © bc GmbH & Co. KG

Schritt 5: Und wieder von vorn, bis alles perfekt sitzt

Wenn Du es bis hierher geschafft hast, solltest Du eine gute Sitzposition auf dem Rad gefunden haben. Langstreckenfahrer:innen sowie Menschen mit Beschwerden am Bewegungsapparat sind besonders anspruchsvoll. Wenn Du die Schritte eins bis vier durch hast, aber noch nicht ganz zufrieden bist, beginne nochmal von vorn, diesmal mit feineren Anpassungen. Egal, ob Du selber Hand anlegst oder ein professionelles Bikefitting buchst, achte auf das Timing! Direkt vor einem Highlight in Deinem Jahreskalender wie Trainingslager oder Rennen ist genauso ein schlechter Zeitpunkt wie unmittelbar nach einer langen Pause. Lass dir nach der Anpassung Zeit, ihre Wirkungen zu erproben. 

Exkurs: Lenkerdrehung und Bremshebelposition am MTB

Mountainbiking (außer reines Cross Country) ist in vielerlei Hinsicht näher am Motocross als am Rennrad. Wichtigster Unterschied zum klassischen Fahrrad: Der Fokus liegt auf der Abfahrt, also während Du stehst!  Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Faktor auf dem Trail ist die Drehung des Lenkers und die Position der Bremshebel, an denen normalerweise immer Dein Zeigefinger ruht. Beides beeinflusst Deinen Körperschwerpunkt und damit die Gewichtsverteilung, wenn Du im Stehen fährst. Je weiter Du Lenker und Bremshebel nach vorne bzw. unten drehst, desto mehr wandern Hüfte, Oberkörper und Kopf nach vorn und unten. Die Folge: Die Ellenbogen sind automatisch in „Attack-Position“ angewinkelt und Du hast viel Druck auf dem Vorderrad. Eine solche Position hat aber auch Nachteile: Dein Blick klebt direkt vor dem Vorderrad statt weiter vorn auf dem Trail, wo er hingehört. Deine Übersicht leidet, Überschlagsgefühle nehmen zu und die Bewegungsfreiheit nimmt ab. Für die meisten Mountainbiker ist ein Winkel der Bremshebel von 45° zur Horizontalen durch den Lenker ein guter Startpunkt. So bildet der Handrücken eine ungebrochene Verlängerung des Unterarms. Das entlastet die Handgelenke und ist im Sinne der Langstreckentauglichkeit sicher die beste Lösung. Steht die Abfahrt klar im Fokus, darf der Bremshebel auch flacher stehen. Manche Enduro- und Downhill-Racer fahren die Hebel gar komplett waagerecht - das gibt viel Kontrolle in Steilstücken, ist aber wenig universell. Hier geht Probieren über Studieren.

Für die meisten Mountainbiker ist ein Winkel der Bremshebel von 45° zur Horizontalen durch den Lenker ein guter Startpunkt.

Für die meisten Mountainbiker ist ein Winkel der Bremshebel von 45° zur Horizontalen durch den Lenker ein guter Startpunkt. © bc GmbH & Co. KG

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