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Ein Mann, ein Zelt, ein Fahrrad. Teil 5: Keinstrom, Wechselstrom

Diesmal kannst Du Jörg auf seiner Etappe von der Slowakai nach Österreich begleiten. Wen er alles gerettet hat und was er und sein Rad erlebten, kannst Du hier lesen.

Schon beim ersten Zug nach Gdynia Ende September, der mich bloß 90 Kilometer weit transportierte, verspürte ich ein leichtes Schuldgefühl meinem Rad und meiner Sache gegenüber und das war beim Zug von Warschau nach Krakau nicht anders. Mir war es deshalb besonders wichtig, den Abschnitt von Ostrava nach Wien selber zu fahren. Die Wettervorhersage prophezeite zwar kalte und nasse Tiefdruckgebiete, erlaubte es mir aber auf diese Weise mein Gewissenskonto zu füllen und Guthaben für den Zug nach Florenz anzusammeln.

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Bye Bye Ostrava

Zu meiner leichten Enttäuschung verließ ich Ostrava unter grau-trockenem Himmel, aber gegen Mittag begann es zu regnen. Strecke und Landschaft waren ziemlich monoton und nur ein langes Telefonat mit meiner Mom sorgte für Kurzweil.

Die Greenways sind internationale Wege zum Radfahren, Wandern und Reiten.

Die Greenways sind internationale Wege zum Radfahren, Wandern und Reiten.

Die Katzen-Rettung

Der letzte Ort lag bereits eine Weile hinter mir, als eine junge Katze über die Landstraße gelaufen kam. Die Kleine war, wie ich, klatschnass, etwas unterkühlt und dazu noch leicht verletzt. Ich fragte mich, wie sie, fernab von jeglicher Zivilisation, überhaupt hierhergekommen war, nahm sie auf den Arm und versuchte sie zu wärmen. Mir war klar, dass eines der wenigen vorbeirasenden Autos ihren sicheren Tod bedeuten würde und ich sie nicht zurücklassen wollte.

Die hoffentlich gerettete Katze.

Die hoffentlich gerettete Katze.

Sie mitzunehmen stellte sich allerdings als schwierig heraus, denn sie kletterte rastlos auf mir herum und aus jeder Tasche heraus, die ich ihr anbot. Schließlich musste ich sie in einer Plastiktüte an den Lenker hängen, um weiterfahren zu können, ohne dass sie dabei auf die Straße springen konnte. Das arme Ding fühlte sich hörbar unwohl und ich beeilte mich, zur nächsten Siedlung zu kommen, in der Hoffnung, dort ein neues Zuhause für sie zu finden. Am liebsten hätte ich sie behalten, aber ich wusste nicht, wie das auf einer Radtour mit Zelt möglich gewesen wäre. In einem der wenigen Häuser der nächsten Siedlung brannte Licht und ich wollte schon läuten, als mir plötzlich klar wurde, wie absurd mein Plan eigentlich ist. Bei fremden Leuten klingeln, ohne ein Wort tschechisch zu sprechen, und ihnen eine wilde Babykatze in die Hand zu drücken, war auf einmal keine gute Idee mehr. Ich setzte sie also vor die überdachte Haustür und hoffte, dass die Bewohner ihre Schreie hören und sie aufnehmen würden. Die Kleine rannte mir doch zuerst hinterher, also brachte ich sie erneut zum Eingang, drückte die Schelle, schwang mich flott aufs Rad und fuhr schweren Herzens davon.

Slowakische Bremswellen. :-)

Slowakische Bremswellen. :-)

Ladehemmungen

Die Gegend war sehr hügelig, der Wald – mein bevorzugter Schlafort – lag an steilen Hängen und so musste ich meine Sachen unter großer Anstrengung einzeln hinauftragen, um auf einer flachen Stelle, inmitten einer Tannenschonung, das Zelt aufzuschlagen. Das Abendmahl war einfach, aber reichlich und der Regen, der sanft auf das Außenzelt rieselte, lullte mich in einen baldigen Schlaf. Nacht und Tag waren verregnet und die Feuchtigkeit, die alle Sachen durchdrang, sorgte früh für elektronische Probleme. Ich benutze mein Handy für Fotografie und Navigation, da es enorm geld- und gewichtssparend ist, Kamera und Karten nicht kaufen und transportieren zu müssen. Versagt allerdings die Technik, ist das Problem offensichtlich: Man steht irgendwo orientierungslos in der Gegend herum und kann sein Dilemma noch nicht mal bildlich festhalten. Zu meinem Glück hielt der Akku bis zum Abend und ich fand erst dann heraus, dass auch die Powerbank, das ach so wichtige Multifunktionsgerät, nicht lädt.

Der übliche Schlafplatz, ein Zelt.

Der übliche Schlafplatz, ein Zelt.

Schüsse im Wald?

Schlafsack, Kissen und Zelt waren bereits feucht von der Nacht zuvor und das Waldstück, das ich mir diesmal ausgesucht hatte, war schlecht gewählt. Der Boden war uneben und der Forst voller Geräusche, die dort eigentlich nicht hingehörten. Einige Male vernahm ich Schüsse oder Böller, hoffte inständig auf Letzteres, lenkte so wenig Aufmerksamkeit auf mich wie möglich und versuchte im dunklen, roten Schein meiner Stirnlampe, den verbleibenden Kraftspeicher meines mobilen Gerätes zu nutzen, um die Route bis Bratislava stichpunktartig zu notieren. Den Donauradweg würde ich von dort schon finden, doch erst hieß es, die Slowakei zu erreichen.

Auf in die Slowakai

Ich schlief ausgesprochen schlecht und machte mich im Regen – klar schwarze Zahlen schreibend – auf den Weg zur Grenze. Ziel war Skalica, die erste Stadt auf slowakischer Seite und die kartenlose Navigation dorthin kein Problem.

Jörg an der Landesgrenze zur Slowakei.

Jörg an der Landesgrenze zur Slowakei.

Am Grenzübergang erlaubte der Akku das obligatorische Foto und am frühen Nachmittag erreichte ich geistig, körperlich und moralisch abgezehrt das Zentrum. In einem kleinen Hotel begann ich routiniert meine Ausrüstung auszubreiten und zu trocknen und der Besitzer war sogar so freundlich, mir einen Wäscheständer ins Zimmer zu stellen. Ich ging schnell etwas einkaufen, duschte und fühlte mich besser, insbesondere als ich feststellte, dass das Handy, das ich zum Trocknen auf die Heizung gelegt hatte, wieder voll funktionstüchtig war und die Ladeanzeige fröhlich blickte. Es ärgerte mich ein wenig, wie sehr mich das freute, und das wiederum hielt mir meine Abhängigkeit von diesem Gerät tadelnd vor Augen. Bis zum Abend regierte im Zimmer das pure Chaos, überall lagen und hingen Dinge herum und es dauerte über eine Stunde, bis wieder Packordnung herrschte.

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An der March entlang nach Bratislava

Auf Empfehlung des Hotelbesitzers setzte ich meinen Weg am nächsten Morgen entlang der March fort. Der Fluss bildet auf dem Weg nach Bratislava erst die natürliche Grenzlinie zu Tschechien und später zu Österreich. Einsam radelte ich durch den Tag, dessen steigende Temperatur nach und nach der Luft die Nässe entzog und meine Freude am Fahren hob. Untypisch offen campierte ich auf einer ausgedehnten Wiese und genoss die Aussicht, als bereits am Abend dichter Nebel aufzog. Die verbleibenden 60 Kilometer bis in die sonnige Hauptstadt des Landes folgte ich dem Wasserstrom, bog an der Promenade in die historische Altstadt ab und besichtigte diese eine gute Stunde lang.

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An der Donau entlang nach Österreich

Danach wechselte ich den Strom bzw. dieser seinen Namen, denn die March mündet in die Donau. Imposant erstreckt sich diese entlang des Weges ins fünfte Land meiner Reise. Dem flusseigenen Radweg erst für gute 20 Kilometer folgend machte ich anschließend erneut auf einer offenen Wiese Halt, kochte und verbrachte den Rest des Abends mit Lesen. Ich war neugierig auf die prunkvolle Hauptstadt und auf die Begegnung mit einem alten Studienkumpel, den ich seit sieben Jahren aus den Augen verloren hatte.

Jörgs Einreise nach Österreich.

Jörgs Einreise nach Österreich.

Die letzten 30 Kilometer bis in die Innenstadt waren etwas zäh, aber ich trat ordentlich in die Pedale und erreichte die Wohnung meines Freundes Andreas zur angekündigten Stunde. Das Wiedersehen war sehr herzlich und meine Zeit in Wien entspannt und produktiv. Ich hatte Ruhe und Nahrung nötig und mein Rad eine Inspektion. Wie üblich schrieb und aß ich diese Tage viel, führte außerdem interessante Gespräche, besuchte einen Freund außerhalb Wiens und machte ein paar Erledigungen in der Stadt.

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Jörg's bicycle in front of the Heldentor in Vienna

Jörg's bicycle in front of the Heldentor in Vienna

Der letzte Tag in Wien - Auf nach Florenz

Meine Oma hatte zeitlebens den Wunsch, Wien zu sehen, es aber leider nie geschafft. An zwei Tagen stattete ich daher der Innenstadt mit ihren prächtigen Gebäuden und Plätzen einen intensiveren Besuch ab und schaute mir in ihrem Namen die Sehenswürdigkeiten an. Am Tag meiner Weiterreise hatte ich dafür sogar gutes Wetter und bei farbbetonendem Sonnenschein wirkten die Gebäude noch beeindruckender. Andreas und ich tranken zum Abschied ein alkoholfreies Bier – leider kein Weizen, denn das suchten wir bereits vorher in Wien vergebens – und machten uns auf dem Weg zum Hauptbahnhof, wo er mir beim Einladen half und ich mich, nach einem herzlichen Abschied, ruhigen Gewissens in den Zug nach Florenz setzte.

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Jörg und sein Kumpel aus Wien.

Jörg und sein Kumpel aus Wien.

Jörgs Freudentanz vor dem Schloss Belvedere. :-)

Jörgs Freudentanz vor dem Schloss Belvedere. :-)

Fortsetzung folgt...