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Selbst ist der Mann. Eigenbau Fatbike

Fatbike im Selbstversuch. Oder: Von der Schweißnaht bis zur Probefahrt nach Kalifornien. Julian hat sich einen Traum erfüllt.

Sonor brummen breite Reifen auf dem Schotter. Jede Lenkbewegung führt zu einem Gefühl absoluter Kontrolle. Jede Steigung wird nur kurz angelächelt und dann mit stetigem Tritt bezwungen.

Wer einmal auf einem Fatbike gesessen hat, ist infiziert. Infiziert von dem Gefühl, dass Fahrradfahren keine Hindernisse mehr kennt. Die überdimensioniert breiten Reifen, die ein Fatbike als solches qualifizieren, ändern das komplette Fahrgefühl des Fahrrades. Seidenweich schmiegen sich die mit knapp 1 bar aufgepumpten Reifen an jeden Untergrund und erzeugen mit ihrer breiten Auflagefläche konstant Auftrieb. Trotzdem rollt man unerwartet leicht, ein wenig wie auf einer Wolke. Untergründe, die man bisher tunlichst vermieden hat, wie Sand oder tiefer Schnee, werden auf einmal zu Spielwiesen mit ganz neuen Möglichkeiten.

Als vor ein paar Jahren die ersten Fatbikes auf den Markt kamen, handelte es sich noch um ein Produkt für absolute Nerds. Verrückte, die extreme Expeditionen unternahmen oder einfach nur auffallen wollten.

Die ersten Vorbereitungen. Die Rohre werden gesägt

Die Rohre müssen gesägt werden

Das Löten beginnt!

Das Löten beginnt!

Das fertige Fatbike!

Das fertige Fatbike!

Mittlerweile ist der Funke übergesprungen und das Fatbike ist auf die Bühne der Massentauglichkeit getreten. Früher oder später wäre das sowieso der Fall gewesen, da eine so spaßige Art der Fortbewegung jeden ansteckt. Fast jeder namhafte Hersteller hat ein Fatbike im Sortiment und auch in den Medien spielen Fatbikes eine zunehmend große Rolle. Die vor Kurzem noch seltenen Reifen werden mittlerweile nicht nur von Surly (einer der treibenden Firmen im Fatbike-Segment), sondern auch von Schwalbe oder Maxxis angeboten. Fatbikes können im gewissen Sinne auch als Urheber des innovativen B+ Standards gesehen werden, der sich rasant verbreitet.

Glücklich mit dem Fatbike unterwegs!

Glücklich mit dem Fatbike unterwegs!

Mein Name ist Julian und ich bin seit 2007 Mitarbeiter bei bc. Ich liebe spezielle Fahrräder und Unternehmungen. Von Singlespeed Transalp bis zur 6-monatigen Tandemtour durch Südostasien habe ich schon viel ausprobiert, aber seitdem ich das erste Mal auf einem Fatbike gesessen habe, weiß ich, dass es da noch etwas gibt, was alles noch einmal überbietet. Nach vielen schlaflosen Nächten mit Visionen von breiten schwarzen Stollenreifen und vormals unbezwingbaren Wüsten, Gletschern und Vulkanen wird 2015 nun das Jahr des Fatbikes.

Der Rahmen

Der Rahmen ist das Herzstück des Bikes. Statt einen Rahmen von der Stange zu nehmen, baute ich den Rahmen selbst. Ich habe schon ein paar Rahmen gebaut, aber ein Fatbike stellt eine besondere Herausforderung in der Konstruktion dar. Die Geometrie muss trotz der riesigen Räder ein agiles Fahrverhalten gewährleisten. Trotzdem muss das Rad auf langen, langsam gefahrenen Strecken genug Komfort bieten.

Ich entschied mich für ein langes 610 mm Oberrohr mit flachem Lenkwinkel. Entgegen dem aktuellen Trend wird der Hinterbau mit 560 mm sehr lang ausgelegt. Dies hat den Hintergrund, dass auf sehr steilen Bergauf-Passagen ein Überkippen des Rades verhindert wird. Später soll das Bike um einen sehr großen Custom-Gepäckträger erweitert werden, der den Transport großer Lasten ermöglicht.

Der Hinterbau war besonders schwierig umzusetzen: Die Kettenstreben mussten so geformt werden, dass der Reifen genug Spielraum hat. Gleichzeitig musste die Kurbel an den Kettenstreben vorbeikommen und die Kette durfte den Reifen nicht streifen.

Das Grundmaterial des Rahmens ist Stahl, den ich in der sogenannten fillet-brazed Methode verlötet habe. Mit dieser Methode können schöne Rohrübergänge erzeugt werden, die einen guten Kraftfluss zwischen den Rohren ermöglichen.

Für den Rahmen benutzte ich Stahlrohre aus dem Flugzeugbau und einige Sonderteile, die ich größtenteils selber hergestellt habe. Das Sitzrohr und das Steuerrohr wurde auf der Drehbank außen konifiziert, um Gewicht zu sparen. Das Steuerrohr nimmt Steuersätze nach ZS44 Standard auf, was ein späteres Nachrüsten einer Gabel mit konischem Steuerrohr erlaubt.

So sieht ein Rohr meines Fatbike Rahmens aus.

Ein Rohr für das Fatbike

Die Rohre wurden eingemessen und die Gehrungen für die Rohrstöße gesägt und per Hand nachgefeilt.

Die ersten Vorbereitungen. Die Rohre werden gesägt

Die Rohre müssen gesägt werden

So entstand nach und nach jedes einzelne Rohr.

Die fertig vorbereiteten Rohre

Die fertig vorbereiteten Rohre

Das Feilen per Hand war ein ganz besonderer Arbeitsschritt. Hier war Präzision gefragt und jeder Feilenstrich nahm irreversibel Material weg. Übung macht auch hier den Meister und mit jedem Rohr stellte sich mehr Gefühl für die dünnwandigen Rohre ein.

Es wurde konstant geprüft, ob die Rohre sauber aneinanderpassten und der Konstruktion wirklich entsprochen haben.

Die Rahmenteile werden nach der Rahmenlehre aneinandergeheftet

Die Rahmenteile werden nach der Rahmenlehre aneinandergeheftet

Nun wurden die Rahmenteile in einer Rahmenlehre aneinandergeheftet und anschließend durchgelötet. Das Löten passierte mit einem Propan-Sauerstoff-Brenner, der in nichtkommerzieller Verwendung noch gefahrlos gehandhabt werden kann und eine präzise Temperierung der Lotlegierung ermöglicht.

Das Löten passierte mit einem Propan-Sauerstoff-Brenner

Gelötet wird mit einem Propan-Sauerstoff-Brenner

Ein Großteil der Lotnähte besteht aus Messinglot, welches sich gut formen lässt. Diese Nähte sollen sich möglichst effizient mit dem Grundmaterial verbinden und es sollten weiche Radien geformt werden, die eine gute Kraftübertragung ermöglichen. Nach dem Löten wurden die Nähte noch gereinigt und verschliffen. Das war in meinem Fall mit recht viel Arbeit verbunden. Auch hier macht Übung natürlich den Meister und eine bessere Vorarbeit reduziert weitere Nacharbeiten massiv.

Die meisten Lohtnäte bestehen aus Messinglot

Die meisten Lohtnäte bestehen aus Messinglot

Das fertige Bike

Wunderbarerweise passten alle Anbauteile ohne Modifikation an den Rahmen, dessen Details in folgenden Bildern noch einmal sichtbar werden.

Das fertige Fatbike!

Das fertige Fatbike!

Massive Streben bieten Platz bis 5“ Bereifung. Am Hinterbau mussten insgesamt 16 Lötstellen ausgeführt werden.

Am Hinterbau wurden 16 Lötstellen ausgeführt. Eloxierte Anbauteile passen sehr gut zur rohen Stahloptik des Fatbike Rahmen

Am Hinterbau wurden 16 Lötstellen ausgeführt

Die rohe Stahloptik passt sehr gut zu den zumeist eloxierten Anbauteilen wie Hope Sattelklemme und Acros Steuersatz.

Die Lötstellen vorne

Die Lötstellen vorne

Das Rad wurde unmittelbar nach grober Fertigstellung des Rahmens aufgebaut und mit nach Kalifornien genommen, wo es jetzt auf den Ursprungstrails des Mountainbikens auf Herz und Nieren getestet wird. Wenn der Rahmen diese Belastungsprobe übersteht, hat er auch den letzten Feinschliff und eine schicke Pulverbeschichtung redlich verdient. Bis dahin wird der rohe Stahl mit Leinöl versiegelt, um einen primären Rostschutz zu bieten.

Parts

Die Teileauswahl für das Fatbike hat mir besonders Spaß gemacht. Ich habe versucht einen sinnvollen Aufbau zusammenzustellen mit Parts, deren Funktion auch bei widrigen Bedingungen zuverlässig gegeben ist.

Als Schaltung habe ich eine Shimano XT gewählt. Diese bietet zu einem günstigen Preis alles, was man sich von einer Schaltung wünschen kann. Hohe Schaltpräzision, leichtes Gewicht und einen robusten Aufbau. Ein einzelnes 32 Zähne Kettenblatt sollte für meinen Einsatzzweck reichen und ich kann auf ein Narrow-Wide Kettenblatt an einer SRAM Kurbel setzen, was mir eine lästige Kettenführung erspart.

Die Kurbel wurde problemlos montiert. Durch das Narrow-Wide Kettenblatt an meiner SRAM Kurbel erspare ich mir eine lästige Kettenführung.

Die Montage der Kurbel verlief reibungslos. Außerdem erspare ich mir durch das Narrow-Wide Kettenblatt die lästige Kettenführung.

Als Schaltung habe ich mich für eine Shimano XT entschieden. Sie bietet für wenig Geld alles was ich mir von einer Schaltung wünsche.

Ich habe mich für eine Shimano XT Schaltung entschieden

Der Lenker ist eine Sonderanfertigung eines amerikanischen Rahmenbauers nach meinen Körpermaßen. Die starke Rückbiegung erlaubt lange Fahrten ohne Belastung der durch das Handgelenk verlaufenden Nerven und viel Kontrolle, was bei der hohen Masse des Vorderrades notwendig ist. Der Lenker hat noch 25,4 mm Klemmmaß, weshalb ich auf einen alten Syntace F139 Vorbau angewiesen bin. Die Sattelstütze kommt von Thomson und der Sattel von SQlab.

Der Lenker an meinem Fatbike ist eine Spezialanfertigung eines amerikanischen Rahmenbauers. Der Lenker ist an meine Körpermaße angepasst.

Der Lenker ist eine Sonderanfertigung eines amerikanischen Rahmenbauers

Die Stallestütze an meinem Fatbike ist von Thomson, den Sattel habe ich von SQ Lab gewählt

Die Sattelstütze ist von Thomson, der Sattel von SQ Lab

Die Laufräder

Die Laufräder sind der wichtigste Teil des Bikes. Ich setzte auf CNC-gefertigte Naben aus England von Hope. Mit diesen habe ich schon am Trailbike gute Erfahrungen gemacht, und es gibt sie als Fatbikeversion. Fette 170 mm Einbaubreite hinten und 135 mm vorne ermöglicht die massive Bereifung. Natürlich auch in Kombination mit den Schnellspannern von Hope, alles in edlem gunmetal-grey.

Meine Naben sind von Hope, diese sind CNC-gefertigt

Hope Naben aus England

Die Felgen kommen von Surly. Mit 100 mm Breite gibt es momentan nichts Breiteres als die Clown Shoes. Auch die Reifen sind von Surly. Der Knard ist ideal für das Fahren mit niedrigem Luftdruck ausgelegt. So hat man auch auf losem Untergrund genug Auftrieb und Grip.

Die Felgen und Reifen an meinem Fatbike sind von Surly.

Felgen und Reifen von Surly

Die verbaute Gabel kommt von Surly und ist mit einem massiven Surly Nice-Rack Gepäckträger kombiniert, der sich hinten und vorne am Fatbike montieren lässt.

Die Bremsanlage ist eine immerzu zuverlässige und umfassend reiseerprobte Avid Ball Bearing 7. Zusammen mit 180 mm Hope Floating Scheiben kommt genug Power an, um auch in steilem Gelände volle Kontrolle zu haben.

Als Bremsenanlage verbaue ich eine Avid Ball Bearing 7. Mit ihr habe ich schon viele Erfahrungen gesammelt. Besonders in Kombination mit 180mm Hope Floating Scheiben habe ich in jedem Gelände die nötige Kontrolle.

Avid Ball Bearing 7 und 180 mm Hope Floating Scheiben

Fahreigenschaften

Die Umsetzung der gewünschten Fahreigenschaften ist gut gelungen, wie erste Ausfahrten im Hinterland des Silicon Valley gezeigt haben. Der lange Radstand verleiht dem Rad eine enorme Spurtreue bei hohen Geschwindigkeiten und erlaubt das Erklimmen steiler Anstiege. Der Lenkwinkel (68°) ist nicht zu flach, um gemütliches Touren in der Ebene zu erlauben. Trotz des massiven Äußeren fährt sich das Rad gefügig und reagiert schnell auf Lenkmanöver.

Insgesamt bin ich mit dem fertigen Produkt sehr zufrieden. Das Gefühl, auf einem Rad zu sitzen, das komplett in Eigenregie entstanden ist, ist einfach unbeschreiblich. Für diesen Moment lohnen sich die vielen Stunden Vorarbeit, von der Konstruktion bis hin zur Endmontage. Ich hoffe mit diesem Rad in Zukunft viele schöne Touren machen zu können, unabhängig ob auf staubigen Trails, losem Sand oder frischem Schnee. Die dicken schwarzen Reifen kennen keine Grenzen ….