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Unterwegs: bc beim Ötztaler Radmarathon - 238 Kilometer - 5500 Höhenmeter

Der Ötztal Marathon, 4000 Teilnehmer quälen sich bei 30°C über 238 Kilometer und 5500 Höhenmeter den Ötzaler hoch. Wie sich unsere Jungs geschlagen haben, lest ihr hier.

Der Ötztaler ist weit mehr als diese nackten, wenn auch beeindruckenden Zahlen. Der Ötztaler ist der absolute Höhepunkt einer Rennradsaison. Bei manchem sogar der Höhepunkt der gesamten „Hobby- Karriere“. Dieses Rennen spukte bei mir im Kopf rum, seit ich Rennrad fahre. Irgendwann wollte ich mich dieser Herausforderung stellen. Am 28. August war es nun so weit.

bc beim Ötztaler Radmarathon

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Herausforderung "Startplatzvergabe"

Im Januar kam bei mir der Entschluss auf, es dieses Mal zu probieren. Ich ging bei uns im bc Team auf die Suche nach motivierten Mitstreitern. Unser Ausdauermonster Christopher (Paris-Brest-Paris 2015 und Rad am Ring 24h solo) war sofort dabei. Danach wurde es aber schon schwieriger. Die nackten Zahlen lassen selbst so radverrückte Jungs wie bei uns im Büro erst mal vorsichtig werden. Björn aus dem Produktmanagement sagte nach etwas Überlegung schließlich auch zu. Damit stand unser Team und es galt die erste Herausforderung zu überstehen. Stichwort "Startplatzverlosung".

Das Problem sieht wie folgt aus: 20.000 Leute wollen teilnehmen - ca. 4.000 Startplätze gibt es. Der Veranstalter geht den Weg einer Verlosung, um die raren Startplätze zu verteilen. Nicht einfach anmelden und gut. Erst mal online registrieren und anschließend wie beim Samstagslotto zittern und hoffen. Am 8. März gab es Klarheit, denn wir waren nicht dabei. Bei mir entstand ein Gefühl der Enttäuschung, aber ehrlicherweise war es auch stark gemischt mit ordentlich Erleichterung. „Noch mal Glück gehabt. Wäre ja vielleicht doch etwas zu heftig gewesen. Lieber dieses Jahr noch mal gut trainieren und es dann kommendes Jahr erneut versuchen.“ So in etwa sah meine Gefühlslage aus.

Mein Frühjahr im Schockzustand

Am 19. April der Schock. Mein Handy vibriert und ich erhalte eine Nachricht von Björn. Kein Text, nur ein Screenshot, der Folgendes zeigte: „Ötztaler Radmarathon 2016… du bist dabei“. Doch noch ein Startplatz für uns. Na klasse. Aber was soll´s? Es waren ja noch knapp vier Monate Zeit. Es blieb der große Respekt vor der Herausforderung.

In der Folge habe ich mein Training forciert. Ungefähr jeden Anstieg auf jeder Runde habe ich mitgenommen. So kam ich bis zum Rennstart auf gut 5.000 Trainingskilometer mit ca. 55.000 Höhenmetern. Man kann mehr machen, ich hoffte aber, dass es zum würdevollen Finish bei der Premiere reichen würde.

Equipment ist alles?

Um mir das Leben ein wenig zu erleichtern, hatte ich mein ohnehin schon leichtes Storck Scenero Stealth Edition optimiert. Die alles entscheidende Maßnahme war die Montage des langen Schaltwerks in Kombination mit einer 11-32 Kassette. Wenn schon stundenlang bergauf fahren, dann doch wenigstens mit einer flüssigen Trittfrequenz. Das restliche Rad war ohnehin schon bergtauglich aufgebaut. Möglichst leicht, aber dennoch komfortabel, um die vielen Stunden im Sattel anständig zu überstehen.

Ab geht’s

So stand ich dann also mit Christopher und Björn um 6:30 Uhr im Startblock bei der inoffiziellen „Weltmeisterschaft der Amateure“.

bc beim Ötztaler Radmarathon

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Die erste Aufgabe des Tages folgte eine gute halbe Stunde nach dem Start: der erste Anstieg hoch zum Kühtai. Im unteren Teil hat man es gleich mit Steigungen nahe den 10 % zu tun, insgesamt führt einen der Pass auf eine Höhe von 2020 m, verteilt auf 18 Kilometer mit durchschnittlich 8 %.  Christopher, unser Bergfloh, ist direkt im Feld verschwunden, Björn und ich sind gemeinsam in einem ruhigeren Rhythmus gestartet.

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Zufällig trafen wir hier auch unseren guten Freund Daniel, der ebenfalls aus Aachen angereist war, um sich der Herausforderung „Ötzi“ zu stellen. Direkt im ersten Drittel des Anstiegs trafen wir ihn und schnell war klar, dass wir in einem sehr ähnlichen Tempo unterwegs waren. So konnten wir uns die ganze Zeit unterhalten. Über Gott und die Welt, oder eher über Laufräder und andere Leichtbau-Teile, die so um uns herum im Feld bewegt wurden. Nach gut 1 1/2 Stunden feinster Marktforschung gepaart mit Kaffeekränzchen waren wir auch schon oben. Das ging doch erstaunlich gut. Oben an der Verpflegung haben wir kurz gehalten, um die Speicher und Trinkflaschen zu füllen, um uns anschließend direkt in die rasante Abfahrt zu stürzen.

bc beim Ötztaler Radmarathon

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Ich mag Abfahrten. Je schneller, desto besser. Die Abfahrt vom Kühtai ist ziemlich schnell. Wenige enge Kurven und teils ein starkes Gefälle. Mein Topspeed lag bei zügigen 98 km/h. Mit dem berechenbaren Storck Scenero Rahmen unter mir aber überhaupt kein Problem. Nach gut 22 Minuten waren wir auch schon wieder im Tal. Hier galt es eine Gruppe zu finden und Kräfte zu sparen. Kaum in Innsbruck angekommen, waren wir auch schon wieder direkt im nächsten Anstieg.

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Energiesparmodus

Der Brenner. Kein klassischer Alpenpass, eher eine Bundesstraße durch die Berge. Er startet direkt in Innsbruck und zieht sich von da an knapp 40 Kilometer in die Länge. Es ist ein trügerischer Abschnitt, auf dem man richtig Gas geben kann, dabei aber viele Körner verpulvert, die man später noch braucht. Wir hatten uns fest vorgenommen diesen Abschnitt defensiv zu fahren und es galt zügig in einer Gruppe mitzurollen, immer schön im Windschatten. Nach gut 4 1/2 Stunden war damit knapp die Hälfte geschafft. Dummerweise nur was die Distanz angeht. In Sachen Höhenmetern geht das Rennen ab hier nämlich erst so richtig los. Daher haben wir an der Labestation am Brenner noch mal alle Speicher aufgefüllt und in der Abfahrt runter nach Italien versucht die Beine zu lockern.

bc beim Ötztaler Radmarathon

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Herzlich willkommen im Vergnügen

Nach knapp 25 Minuten folgt direkt der Jaufenpass. Gut 15 Kilometer, 1100 Höhenmeter bei 7,5 % durchschnittlicher Steigung. Klingt eigentlich ganz gut machbar. Am Kühtai lief das ja auch, aber da waren die Beine noch frisch.

Die erste Hälfte lief noch ziemlich gut. Wir haben uns durchgehend unterhalten und zahlreiche Teilnehmer überholt. Bei Halbzeit aber auf einmal keine Unterhaltung mehr. Nur noch atmen und auf den eigenen Rhythmus konzentrieren. Ab diesem Zeitpunkt wurde es wirklich zäh, was sicherlich auch an den fast 30° C  lag.

bc beim Ötztaler Radmarathon

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Der Jaufen ist ohne Frage ein wunderschöner Anstieg, der auch gut fahrbar ist. Wenn man jedoch schon einige Stunden in den Beinen hat, relativiert sich die schöne Aussicht und die gut fahrbare Steigung ganz, ganz schnell. Die nächste Verpflegung kurz unterhalb der Passhöhe war bitter nötig.

Oben angekommen habe ich direkt gemerkt, dass ich schon sehr angeschlagen war. Ein leichtes Zittern am ganzen Körper ließ mich nervös werden. Überzockt und zu früh zu viel investiert? Es gab nur eine Lösung: so viel Energie aufnehmen, wie es mein Körper zulassen würde. An dieser einen Verpflegung habe ich Folgendes in mich "hineingeschüttet":

  • 2  Energie-Gels (1x mit Salz)
  • 2 Becher Cola
  • 1 Dose Red Bull
  • 1 Becher Wasser
  • 1 Becher Rinderbrühe (für die Salzversorgung bei der Hitze)
  • diverse Stücke Trockenkuchen
  • eine halbe Banane

Wohlgemerkt fand all das in circa 7 Minuten den Weg in meinen nach Energie schreienden Körper.

Nach wenigen Minuten ging es mir bereits besser. Gerade rechtzeitig, um hellwach in die Abfahrt zu gehen. Hier konnte man richtig schön laufen lassen und gemeinsam mit Daniel ging es zügig von einer Kehre zur nächsten. S-Kurve folgte auf S-Kurve und wir flogen nur so ins Tal. Ohne einen kritischen Moment und breit grinsend kamen wir im Tal an. Eine Rechtskehre im Ort und zack, es geht direkt wieder hoch. Keine weitere Erholung, keine Rollpassage. Von -6 % direkt weiter zu +3,5 %. Na klasse. Daniel hielt kurz fest: „Weißte was richtig schön leer ist? Meine Beine!“ Ich konnte nur bedingt beruhigen. Auch bei mir war in diesem Moment wenig Power zu vermelden.

Der letzte „Hügel“

Na gut, was soll´s? So weit gekommen muss der Rest auch noch irgendwie in Würde zu schaffen sein. Wir legten den kleinsten Gang ein und kurbelten wieder los. Bei über 30° C wurde das Rennen hier dennoch zu einer schmerzvollen Angelegenheit.

Die hohen Temperaturen, die müden Beine und die ungewohnt lang anhaltende Steilheit ließen die Kurbel nur noch langsam drehen. Ich zählte die Kilometer bis zur letzten Labestation sehnsüchtig runter. Hier kurz vor dem Finale wurde es noch mal flacher und an der Verpflegung kann man sich ordentlich mit allem versorgen, was Körper und Seele brauchen. Nach der kurzen Pause ging es weiter in die letzte „Wand“ des Tages. Vorher hatte mir ein Mitstreiter noch was von „nicht so steil, lässt sich gut fahren, von Kehre zu Kehre fällt es einem leichter“ erzählt. Ich habe vermutlich nicht sehr gut ausgesehen und er wollte mich irgendwie aufbauen. Wie ist eine solch dreiste Lüge sonst zu erklären?

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Steil, langsam, zäh. Das ist alles, was mir zu den letzten 6 Kilometern am Timmelsjoch einfällt. Immerhin bei einer absolut genialen Aussicht.

Einfach immer weiter treten war mein einziger Gedanke. Irgendwann sagte mir ein Zuschauer: „Das sind die letzten 3 Kehren und dann hast du es geschafft!“. Selten habe ich mich über das Absolvieren von 3 Kurven so sehr gefreut wie an diesem Nachmittag. Ich war oben. Es war geschafft. Von hier nach Sölden ist der Rest tatsächlich nur noch Formsache. Hochpunkt! 2509 Meter pure Erleichterung!

Fertig in jedem Sinne

Nach fast 3 Stunden ununterbrochenem Bergauffahren war ich einfach froh oben zu sein. Ich habe mir kurz die Weste übergeworfen und mich anschließend direkt in die Abfahrt geworfen. Selten habe ich bei 15° C so gefroren und noch nie hatte ich so wenig Freude beim Befahren einer tollen Abfahrt. Den letzten kleinen Gegenanstieg bis zur berühmt-berüchtigten Zollstation kannte ich zum Glück aus Berichten. Kurz noch mal mobilisieren, was im Tank ist, und über diese letzte Welle drüberquälen. Der Rest war 25 Minuten Warten auf die Ziellinie. Ich rollte ohne viel Druck auf dem Pedal nach Sölden hinein. Einmal rechts über die Brücke und ich war da. Ziel. Ende.

Ich war glücklich, aber für Euphorie fehlte mir die Energie. Ich genoss die Stimmung im Zielbereich, machte mich aber nach wenigen Minuten auf den Weg ins nahegelegene Hotel. Ich wollte nur noch duschen, essen und liegen.

bc beim Ötztaler Radmarathon

bc beim Ötztaler Radmarathon

Einige Stunden, ein Wiener Schnitzel und ein belgisches Bier später war sie dann auch da. Die Freude darüber, dass wir gemeinsam den Ötztaler Radmarathon 2016 bewältigt hatten. Irgendwo in der Mitte vom Timmelsjoch haben wir uns zwar noch verloren, aber wir haben es gemeinsam bewältigt. Christopher in saustarken 9:47 Stunden, Björn in kämpferischen 11:50 Stunden, Daniel in kontrollierten 11:38 Stunden und ich in glücklichen 11:13 Stunden.

238 Kilometer - 5500 Höhenmeter. Wiederholung gefällig? Ich fürchte ja!