Im Test: Liteville 601 MK3 Werksmaschine
Mit 190mm Federweg am Heck definitiv noch bergaborientierter als ein klassisches 160mm Enduro - dennoch auch keine reine Downhill-Waffe.
Seit Mitte Mai bin ich nun schon auf Litevilles Superenduro/Freerider, oder welcher Kategorie man es auch zuordnen mag, unterwegs. Und tatsächlich fällt das Einordnen in eine Schublade recht schwer. Mit 190mm Federweg am Heck definitiv noch bergaborientierter als ein klassisches 160mm Enduro - dennoch auch keine reine Downhill-Waffe.
Die nun schon dritte Evolutionsstufe des 601 lässt in der Werksmaschinenkonfiguration so gut wie keine Wünsche offen. Das Fahrwerk besteht aus der extrem leichten Formula ThirtyFive und einem enormen 240er RockShox Vivid Air.
Fertig aufgebaut
Das Cockpit stammt aus dem Hause Syntace und besteht aus einem Syntace Megaforce 2 und einem Syntace Vector Carbon. Ebenfalls von Syntace stammt der W40 M Laufradsatz. Neben der extremen Maulweite von 33,5mm ist das Besondere hier der scaled-sizing Ansatz. Das heißt, dass die Werksmaschine mit unterschiedlich großen Laufrädern ausgestattet ist – vorne größer als hinten. Die Idee dahinter ist folgende: Das 27,5“ Laufrad an der Front hat ein besseres Überrollverhalten und die 26“ am Heck sorgen für die nötige Agilität.
Syntace Cockpit
Der Kontakt zum Untergrund wird durch gewaltige 2.5er Schwalbe Magic Marys hergestellt. Dabei handelt es sich um eine extra für Liteville aufgelegte Sonderserie von Schwalbes beliebtem Gravity-Reifen. Der 11-fach Antrieb stammt aus dem Hause SRAM und hört auf den Namen X01 – clean und simpel. Zur Verzögerung werden bewährte Shimano XT Bremsen der M785 Baureihe herangezogen.
SRAM X01 Antrieb
Abseits der Werksmaschinen-Konfiguration kann Liteville mit einigen sehr schönen Detaillösungen aufwarten. So bietet der Rahmen neben der internen Zugführung für eine Reverb Stealth auch eine Zugführung unter dem Oberrohr für Dropperposts mit externem Zuganschlag.
Leitungsführung
Eine Ersatzschraube zur Befestigung des Schaltauges ist im Innenlagerbereich integriert.
Ersatzschraube für das Schaltauge
Zum Schutz des Schaltwerks verbaut Liteville einen Rockguard, welcher das Schaltwerk zuverlässig vor Steinen schützt. Die an der Kettenstrebe befestigte Syntace SCS II Kettenführung hält die Kette stets am rechten Platz.
Rockguard
Persönliche Vorlieben hinsichtlich der Geometrie können durch den verstellbaren Dämpferschlitten und den VarioSpin Steuersatz realisiert werden. Zudem ist der Rahmen werkseitig zur Verwendung mit Doppelbrückengabel freigegeben, was den Rahmen enorm vielseitig macht.
Dämpfer verstellschlitten
Meine Spezifikationen
Bei einer Körpergröße von 181cm habe ich mir das 601 in Größe L bestellt. Für ein möglichst verspieltes Fahrrad habe ich mir einen 40er Vorbau konfiguriert. Die optionale Reverb Stealth und die Syntace NumberNine Pedale habe ich ebenfalls bestellt. Zusätzlich habe ich statt des Syntace Vector Carbon High10 einen Vector Carbon High20 bestellt, für ein breiteres Cockpit.
Meine Erfahrung
Fand die erste kurze Ausfahrt noch auf den heimischen Trails statt, ging es eine Woche später schon direkt zum ersten Härtetest an den Gardasee, um direkt im Anschluss die erste Trailtrophy des Jahres in Latsch zu fahren.
Trail Trophy in Latsch
In dem schroffen und steinigen Gelände konnte das 601 seine Vorzüge natürlich bestens ausspielen. Die vielen groben Steine zeigen Schwächen im Fahrwerk schnell auf. Nicht so bei der Werksmaschine! Das enorm potente Fahrwerk vermittelt Sicherheit en masse und hat auch genügend Reserven für grobe Einschläge. Stehen lange Anstiege an, bietet der 11-fach Antrieb mit dem 30er Kettenblatt, zumindest kurzzeitig, genügend Reserven. Generell lässt sich das 601 trotz des großen Federwegs sehr effizient bergauf treten – ein kleines Wippen im Fahrwerk ist zwar vorhanden, aber nicht so, dass man hier Gefahr läuft, seekrank zu werden. Was bergauf deutlich mehr bremst als Fahrwerk und Antrieb, sind die 2.5er Magic Marys von Schwalbe.
Hoch hinaus
In Verbindung mit den Syntace W40 Felgen ist die Reifenaufstandsfläche einfach enorm. Und genau das ist in jedem Uphill spürbar. Die Reifen kleben förmlich am Boden, verhindern ein schnelles Vorankommen effektiv. Sobald die Steigung aber in ein Gefälle übergeht, fühlen sich die Reifen absolut zu Hause. Denn genau hier, also im Downhill, liegt die Stärke der 2.5er Marys. Das Gripniveau ist noch einmal merklich höher als beim 2.35er Pendant und so vermitteln diese unglaublich viel Sicherheit und bieten wirklich in jeder Situation massiven Halt. Wer es gewohnt ist das Hinterrad ab und an driften zu lassen, wird mit den Reifen wohl nicht unbedingt glücklich werden.
Im Wurzelteppich auf Herz und Nieren testen
Die Trailtrophy im Harz stellte da schon andere Anforderungen an das Material. Die eher flachen Trails wollen mit viel Schwung und jeder Menge Watt gefahren werden. Um es kurz zu machen: Kurze knackige Sprintpassagen, die im Wiegetritt gefahren werden, sind nicht die Paradedisziplin des 601. Für 190mm Federweg geht das zwar erstaunlich gut und man kommt auch flott voran, doch sind andere Bikes hier etwas stärker. Dafür macht das 601 im Bikepark eine umso bessere Figur. Ob Wurzelteppich, Drop oder 10m-Booter, das Liteville kommt mit allem zurecht, was deutsche Bikeparks zu bieten haben.
Trotz langer Verletzungspause im Sommer kann ich nun auf etwa 600 gefahrene Kilometer und mehr als 30.000 Tiefenmeter seit Mai zurückblicken. In dieser Zeit habe ich lediglich die Bremsbeläge und die Reifen gewechselt. Da ich ab Juni mit Schwalbes Procore System unterwegs war und die beiden Magic Marys aufgrund von Einrissen nicht mehr tubelessfähig waren, bin ich hier auf Schwalbe Magic Mary in 2.35 und Schwalbe Rock Razor in 2.35 umgestiegen. Sonst habe ich bisher keinerlei Mängel zu vermelden.
Am Gardasee
Das Konzept des scaled-sizing ist zugegebenermaßen ein recht eigenwilliger Ansatz, der nicht nur auf Zustimmung stößt. Für mich ist das Konzept jedenfalls aufgegangen, oder zumindest kann ich daran keine Nachteile erkennen. Das Vorderrad geht besser über Hindernisse hinweg und das kleinere Hinterrad ermöglicht den Einsatz von kurzen Kettenstreben, was für mich persönlich immer ein Plus ist.
Wenn ich negative Punkte am Bike suchen muss, dann wären das für mich persönlich in erster Linie die Reifen. Wo diese im alpinen Gelände ihre Vorzüge haben, sind sie für das Flachland bzw. Mittelgebirge einfach etwas zu speziell – zumindest wenn man das Fahrrad nicht als reinen Freerider benutzt. Zudem wünschte ich mir auf längeren Abfahrten eine Bremse mit mehr Biss, einfach um die Unterarme nicht so sehr zu beanspruchen. Ferner haben sich die roten Badges am Oberrohr an den Ecken leicht abgelöst, so dass diese Ecken unglücklicherweise meine Knieschoner zerrissen haben – daher habe ich die Badges leider entfernen müssen.
Nasse Trails in Finale Ligure
Fazit
Wer auf der Suche nach einem absoluten Allrounder ist und dabei die Qualität und die vielen kleinen Detaillösungen von Liteville zu schätzen weiß, dem sei das 601 Mk3 sowohl als Rahmenset als auch als Werksmaschinen-Konfiguration wärmstens empfohlen. Ob ausgedehnte Touren oder Bikepark-Urlaube, die Liteville 601 Mk3 Werksmaschine macht einfach überall eine gute Figur und vermittelt extrem viel Sicherheit und vor allem Spaß.
Prädikat: eierlegende Wollmilchsau.